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Heilige Worte

Gebenedeit

    Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes.
    Lk 1,41bf

    Die ostkirchlichen Väter nennen die Gottesmutter „die Ganzheilige“; sie preisen sie als „von jeder Sündenmakel frei, gewissermaßen vom Heiligen Geist gebildet und zu einer neuen Kreatur gemacht“ (LG 56). Durch die Gnade Gottes ist Maria während ihres ganzen Lebens frei von jeder persönlichen Sünde geblieben.
    KKK 493

    Die Katechese über das Ave Maria ist immer ein Highlight der Schulgottesdienste und der Erstkommunionvorbereitung. Die Worte der Heiligen Schrift, aus denen das Gebet zum größten Teil besteht, werden den Kindern erklärt. Was ist die Frucht des Leibes? Ein Apfel? Eine Birne? Manchmal kommen die Kinder von selbst darauf, dass der altmodische Ausdruck „Leibesfrucht“ für das Baby steht, das im Mutterschoß heranwächst. Altmodisch ist auch das Wort „Gebenedeit“, dass die neue Einheitsübersetzung nicht mehr verwendet – unserem Sprachgebrauch entsprechend wird das deutsche Wort „Gesegnet“ verwendet. Und doch könnten wir uns nicht vorstellen, das Ave Maria zu verändern, weniger altmodische Ausdrücke zu verwenden. „Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes…“ Von Kindesbeinen an gehören die Worte der Elisabet zum nach dem Vaterunser sicher wichtigsten Gebet der Christenheit. Benedeien – da klingt das lateinische bene dico durch, das ursprünglich, bei den alten Römern, nur „gut reden“ oder „loben“ hieß. Erst später bekam es die Bedeutung von „Segnen“. Durch den Segen wird ein Mensch, ein Gegenstand oder Gebäude der alltäglichen Verwendung entzogen, wenn die Kirche etwas segnet, dann wird es dem Bereich des Heiligen, dem Bereich Gottes zugeordnet. Maria ist der Mensch, der ganz und gar, vom ersten Augenblick seines menschlichen Daseins an (Unbefleckte Empfängnis) völlig erfüllt war von der Liebe und dem Leben Gottes. Maria ist der Mensch, der wirklich so ist, wie Gott ihn gewollt hat. In Maria spiegelt sich der erlöste Mensch, der frei ist von den Banden der Sünde und des Todes, der ganz und gar sein Leben für Gott gelebt hat. Deshalb nennen wir sie mit Elisabet „gebenedeit“ und deshalb konnte sie uns ihren Sohn schenken, Jesus Christus, die gebenedeite Frucht ihres Leibes. Und das, was vor 2000 Jahren in Palästina geschehen ist, geht immer weiter. Wenn wir Christus finden wollen, nehmen wir ihn aus der Hand seiner Mutter entgegen. Immer wieder bringt Maria ihren Sohn in diese Welt, sie ist der menschliche Weg, den Gott bestimmt hat, um in dieser Welt gegenwärtig zu ein. Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Verehrung der Gottesmutter würde uns von Jesus trennen – das Gegenteil ist der Fall: je mehr ich mich Maria anvertraue, je mehr ich sie anrufe, um ihre Hilfe bitte, umso mehr erkenne ich Jesus Christus. Johannes Paul II. schreibt in dem Apostolischen Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“: „Das Antlitz des Sohnes gehört in besonderer Weise zu ihr. In ihrem Schoß hat er Gestalt angenommen und von ihr ein menschlich ähnliches Aussehen empfangen, das eine sicher noch größere geistliche Verbundenheit mit sich bringt. Niemand hat sich mehr als Maria der Betrachtung des Antlitzes Christi mit gleicher Beharrlichkeit hingegeben. Die Augen ihres Herzens richten sich in gewisser Weise schon bei der Verkündigung auf ihn, als sie ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes empfängt. In den folgenden Monaten beginnt sie, seine Gegenwart zu spüren und seine Züge zu erahnen. Als sie ihn schließlich in Betlehem zur Welt bringt, sind auch die Augen ihres Leibes zärtlich auf das Angesicht des Sohnes gerichtet, den sie „in Windeln wickelte und ihn in eine Krippe legte.“ (Lk 2,7) Von jetzt an wird ihr Blick, der immer mehr anbetendem Staunen gleicht, nicht mehr von ihm weichen.“

    Garten

      Dann pflanzte Gott, der HERR, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der HERR, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
      Gen 2,8ff.

      Als Jesus das geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron; da war ein Garten, in den gingen er und seine Jünger.
      Joh 18,1

      Es war aber an der Stätte, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten und im Garten ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war. Dahin legten sie Jesus wegen des Rüsttags der Juden, weil das Grab nahe war.
      Joh 19,41f.

      Viele Menschen lieben ihren Garten. Einen Garten zu bauen und zu pflegen, Blumen zu züchten, Obst und Gemüse zu ziehen, der Natur eine Ordnung zu geben und ihre Früchte zu genießen – das bringt eine zutiefst menschliche Saite in uns zum Klingen, das rührt an eine uralte Sehnsucht, das erinnert an den ersten Garten auf Erden: das Paradies. Der erste Versuch Gottes, den Himmel auf Erden zu schaffen, hatte die Gestalt eines Gartens. Bis heute ist diese Erinnerung im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert. Aber der Garten spielt nicht nur im ersten Buch der Bibel eine Rolle, auch im Neuen Testament spielt ein Garten eine zentrale Rolle. Es ist der Garten Gethsemane, den Jesus und die Apostel nach dem Letzten Abendmahl aufsuchen, um dort im Gebet die Nacht zu verbringen. Während aber die Apostel einschlafen, wird dieser Garten zum Zeugen der schwersten Stunde Jesu. Im Gebet muss er sich durchringen, den Willen des himmlischen Vaters anzunehmen: sich am Kreuz hinzugeben für das Heil der Welt. Im Garten des Paradieses entschieden sich die ersten Menschen gegen Gott. Sie wollten kein Geschöpf sein, nicht abhängig vom Schöpfer; sie wollten aus eigener Kraft, aus eigener Macht heraus leben, existieren und entscheiden. Die Folge war das Ende des Paradieses, der Tod, das Getrenntsein von Gott in Zeit und Ewigkeit. Im Garten Gethsemane fällt Jesus die Entscheidung, dem Willen des Vaters zu gehorchen. Das hat weltentscheidende Folgen: Der Tod wird ein für allemal besiegt, die Menschheit wird erlöst, der Himmel steht offen, die Gemeinschaft mit Gott in Zeit und Ewigkeit wird wieder möglich. Der Garten Gethsemane wird so zum Gegenpol des Garten Edens. Und zugleich wird er zum Bild für unser Leben, für unser Christsein. Denn wenn wir Jesus nachfolgen wollen, dann müssen auch wir in diesen Garten hineingehen, in die Nacht der Angst und Verzweiflung, in die Nacht des Gebets. Auch wir müssen uns immer wieder durchringen, Ja zu sagen zum unbegreiflichen Willen des himmlischen Vaters, der uns Kreuz und Leid nicht erspart. Tröstlich allein ist die Vorstellung, dass wir dort nicht alleine sind, weil Jesus vor uns in diesen Garten hineingegangen ist und uns dort erwartet. Gemeinsam mit ihm und durch ihn können auch wir es schaffen, den Willen des himmlischen Vaters anzunehmen. Und dann verwandelt sich für uns dieser Garten vom Friedhof in einen Ort des Lebens und der Auferstehung. Im Garten berührt der Himmel die Erde nicht nur, sondern verwandelt sie. In der Auferstehung Christi sehen wir den Beginn dieser Verwandlung, den Beginn eines Prozesses, den niemand mehr aufhalten kann und der einmal die ganze Menschheit, die ganze Welt, den gesamten Kosmos umfassen wird. Gehen wir mit Christus in den Garten des Gebets, in den Garten mit dem Grab, in den Garten der Auferstehung und in den Garten des Paradieses.

      Feuer

        Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.
        Lk 3,16

        Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!
        Lk 12,49

        Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.
        Apg 2,3-4

        Neulich musste ich eine Glühbirne auswechseln. Ich bin kein Handwerker und die gestellte Aufgabe war gerade noch im Bereich meines Möglichen, doch ging ich mit größtem Respekt vor. Denn soviel weiß ich noch: wenn es um Strom geht, ist Vorsicht geboten. Der elektrischen Energie, die unser Leben täglich einfacher macht und für das Funktionieren unserer Gesellschaft mittlerweile unentbehrlich geworden ist, ist mit Respekt zu begegnen. Bei dem Gedanken an ein kleines Kind, das vor einer offenen Steckdose spielt, stehen auch mir die Haare zu Berge. So ein Stromschlag kann tödlich sein. Deshalb habe ich einen Spannungsprüfer verwendet: wenn ich ihn in die Hand nehme, zeigt mir ein kleines Licht an, ob die Fassung oder die Steckdose unter Strom steht. Elektrischer Strom – unentbehrlich und tödlich zugleich – kann zu einem Symbol für den Heiligen Geist werden. Die dritte göttliche Person wird in der Bibel nicht umsonst im Bild des Feuers beschrieben. Das Feuer Gottes macht lebendig, es aktiviert einfach alles: Gott hält diese Welt und den Kosmos im Dasein. Ohne den Heiligen Geist kann nichts sein und nichts geschehen. In Feuerzungen kommt er auf die Apostel herab und aktiviert sie, die Kirche wird geboren und hört bis heute nicht auf, in allen Sprachen zu reden und die Frohe Botschaft zu verkünden. Der Heilige Geist macht auch mich lebendig und zu einem Kind Gottes. In den Sakramenten wird er mir immer wieder geschenkt. Er legt mir die Worte in den Mund, treibt mich an zum Handeln, aus ihm und durch ihn und mit ihm kann ich beten und lieben. Ohne den Heiligen Geist gibt es keine Welt, keine Kirche, keine Christen. Er ist einfach lebensnotwendig. Aber wir müssen ihm auch mit Respekt begegnen. Es ist gefährlich, was ihr da tut! wurde den Weihekandidaten im alten Ritus der Priesterweihe zugerufen. Es ist gefährlich, dem großen, heiligen Gott ohne die nötige Ehrfurcht zu begegnen, ihn gedanklich klein zu machen, zu einem Talisman-Götzen, den ich aus der Tasche hole und um Hilfe bitte, wenn sonst nichts geht. Der Heilige Geist hilft uns, voller Liebe, voller Vertrauen, aber auch voller Ehrfurcht mit Gott zu leben. Auf diese Weise soll sein Feuer sichtbar werden. Und da ist es sinnvoll, wenn wir so etwas wie religiöse Spannungsprüfer besitzen. Das können ein Rosenkranz sein, ein Gebetbuch, eine Bibel, ein Marienbild, ein Kreuz. An sich nur Gegenstände, die aber zum Leben erweckt werden, wenn wir sie in die Hand nehmen, betrachten, lesen, benutzen. Auf diese Weise wird das Feuer des Geistes, die Energie Gottes, weithin sichtbar und wir jeden Tag zu Zeugen des Auferstandenen.

        Erde

          Nun kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück, trat vor ihn hin und sagte: Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt außer in Israel. So nimm jetzt von deinem Knecht ein Dankgeschenk an! Elischa antwortete: So wahr der HERR lebt, in dessen Dienst ich stehe: Ich nehme nichts an. Auch als Naaman ihn dringend bat, es zu nehmen, lehnte er ab. Darauf sagte Naaman: Wenn es also nicht sein kann, dann gebe man deinem Knecht so viel Erde, wie zwei Maultiere tragen können; denn dein Knecht wird keinem andern Gott mehr Brand und Schlachtopfer darbringen als dem HERRN allein.
          2 Kön 5,1517

          Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst du zurück. Der Herr aber wird dich auferwecken.
          Begräbnisliturgie

          Meine Mutter stammt ursprünglich aus dem Sudetenland. Nach dem Krieg wurde sie wie viele andere Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ergab sich die Gelegenheit, bei einer Gruppenreise die alte Heimat zu besuchen. Zu schauen, was aus dem Elternhaus geworden ist und wie sich der Heimatort verändert hat. Seitdem steht in der Küche meiner Eltern ein Glas mit der Aufschrift: „Heimaterde“. Meine Mutter hat einen kleinen Teil der Heimat – eine Handvoll Erde – mitgebracht. Ein Zeichen der Erinnerung und Verbundenheit. Dasselbe tat der syrische General Namen, ein mächtiger und reicher Mann. Doch Einfluß und Geld konnten ihm nicht bei seinem größten Problem helfen: er war krank, hatte Lepra. In seiner Not suchte er den Propheten Elischa auf. Und der wundertätige Gottesmann konnte ihm helfen. Nachdem er siebenmal im Jordan untergetaucht war, wurde er geheilt. Und als der Prophet kein Dankgeschenk annehmen wollte, machte der General dasselbe wie meine Mutter: er ließ sich Erde geben, um sie mitnehmen zu können. Ein Zeichen der Erinnerung an seine Heilung und ein Zeichen für seine Bekehrung, denn von Stund an wollte er keinen anderen Gott mehr anbeten als Jahwe. Diese Erde ist mehr als ein Erinnerungszeichen, sie ist eine Reliquie. Wir Menschen sind Wesen aus Geist und Leib, und so verlangt auch unser Glaube Zeichen und Symbole, in denen er Gestalt annehmen, leibhaftig werden kann. Im Kölner Dom verehren wir die Gebeine der heiligen drei Könige, der Magier aus dem Osten, die dem Stern gefolgt sind, um den Herrn der Welt anzubeten. In Turin finden wir das Grabtuch Christi, in Manoppello in den Abbruzzen das Schweißtuch der Veronika. In Rom verehren wir das Kreuz Christi und die Tafel mit der Aufschrift, die Pilatus anbringen ließ. In Paris finden wir die Dornenkrone. Noch die kleinste Dorfkirche ist mit Bildern, Figuren und Heiligenreliquien geschmückt, die leibhaftiger Ausdruck unseres Glaubens sind. Und wenn wir ein Kreuz an einer Kette um den Hals tragen und eine Wunderbare Medaille, wenn in der Hosentasche ein Rosenkranz ist, dann sind das keine Amulette oder Talismane, keine abergläubischen Glücksbringer, sondern kleine Symbole und Zeichen unseres Glaubens an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und an sein Leiden und Sterben, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung. Und sie erinnern uns auch daran, dass wir am Ende unseres irdischen Lebens in die Erde gebettet werden, von der wir genommen sind. Aber das Grab ist für uns keine Endstation, keine Sackgasse. In Christus wird der Tod für uns zur offenen Tür, durch die wir in das ewige Leben schreiten, das der himmlische Vater uns bereitet. Und weil zu unserer Menschennatur nicht nur ein Geist, sondern auch ein Leib gehört, haben wir die Hoffnung und glauben daran, dass sich am Ende der Zeit auch unser Leib aus der Erde erheben wird, weil auch er bestimmt ist für die Herrlichkeit der Kinder Gottes. Auch er soll ein Teil der neuen Schöpfung werden, wenn Gott den neuen Himmel und die neue Erde schafft: den Lebensraum, in dem wir mit ihm in Ewigkeit glücklich sein werden.

          Engel

            Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht. Er soll dich auf dem Weg schützen und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe. Achte auf ihn, und hör auf seine Stimme. Widersetz dich ihm nicht! Er würde es nicht ertragen, wenn ihr euch auflehnt; denn in ihm ist mein Name gegenwärtig. Wenn du auf seine Stimme hörst und alles tust, was ich sage, dann werde ich der Feind deiner Feinde sein und alle in die Enge treiben, die dich bedrängen.
            Ex 23,2022

            Dankt dem Vater mit Feude! … Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. … Denn in ihm wurde alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
            Kol 1,12ff.

            Wer die Natur beobachtet, kann in der Schöpfung Gottes eine Stufenordnung erkennen: Es gibt die unbelebte Materie, die belebte Natur, die Tiere und den Menschen. Er steht „in der Mitte der Schöpfung“ (Albertus Magnus), weil er mit seinem Leib Teil der belebten Schöpfung ist, aber er besitzt auch einen Geist, er verfügt über ein Bewußtsein und einen freien Willen. Nun liegt es nahe, dass Gott bei der Schöpfung von Himmel und Erde auch Wesen erschaffen hat, die in der Stufenordnung der Schöpfung über dem Menschen stehen, Geistwesen, die über einen Verstand und freien Willen verfügen, aber anders als der Mensch keinen materiellen Leib haben. Die Bibel nennt sie Engel. Nach ihrem Zeugnis ist die Zahl der Engel sehr groß, sie sind unsterblich (Lk 20,36) und „überragen alle sichtbaren Geschöpfe an Vollkommenheit“ (KKK 330). Nomen est Omen: das lateinische „Angelus“ bedeutet „Bote“ und tatsächlich sind die Engel die Diener und Boten Gottes. „,Engel‘ bezeichnet das Amt, nicht die Natur. Fragst du nach seiner Natur, so ist er ein Geist; fragst du nach dem Amt, so ist er ein Engel: seinem Wesen nach ist er Geist, seinem Handeln nach ein Engel.“ (Augustinus)
            Da die Engel wie wir freie Wesen sind, mußten sie sich im Augenblick ihrer Erschaffung für Gott und seine Liebe entscheiden. Es gab auch Engel, die sich gegen Gott und seinen Himmel entschieden haben, sie fielen dem Zeugnis der Schrift der ewigen Verdammnis heim (2 Petr 2,4) und heißen nun Teufel oder Satan und Dämonen. Die guten Engel hat man in der Tradition spekulativ in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Nach ihrer Aufgabe in „Thronassistenten“ und „Boten Gottes“; nach ihrer biblischen Benennung in verschiedene „Chöre“, von denen je drei eine Hierarchie bilden: Seraphim, Cherubim, Throne – Herrschaften, Mächte, Kräfte – Hoheiten, Erzengel, Engel. Das Zentrum aller Engel ist Jesus Christus, denn sie sind „durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“ Neben dem Lob und der Verherrlichung Gottes begleiten die Engel das Volk Gottes, beschützen es und verkünden Gottes Botschaft. Engel begleiten Jesus auf seinem irdischen Weg und werden auch bei seiner Wiederkunft am Ende der Zeit bei ihm sein. Im Gottesdienst der Kirche vereinen wir uns mit dem Gebet der Engel. Die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael werden mit einem eigenen Gedenktag (29. September). Jeder Mensch hat von Geburt an seinen eigenen, besonderen Schutzengel, der uns begleitet, behütet und für uns betet. Ihr Gedenktag ist der 2. Oktober, wir aber sollten jeden Tag dem Herrn für einen so wunderbaren Begleiter und Beschützer danken.

            Elfenbeinerner Turm

              Wie der Turm Davids ist dein Hals, in Schichten von Steinen erbaut; tausend Schilde hängen daran, lauter Waffen von Helden.
              Hld 4,4

              Dein Hals ist wie ein Turm aus Elfenbein. Deine Augen sind die Teiche zu Heschbon beim Tor von BatRabbim. Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen Damaskus schaut.
              Hld 7,5

              Du starker Turm Davids, bitte für uns.
              Du elfenbeinerner Turm, bitte für uns.
              Lauretanische Litanei

              Wer nur in seinem Elfenbeinturm hockt, hat kein Interesse an anderen und keine Ahnung von der Welt. Er weiss nicht, was draußen vor sich geht und will es auch gar nicht wissen. Allein dem theoretischen Studium seines Fachs verpflichtet, ist er immun gegen gesellschaftliche Entwicklungen. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Elfenbeinturm das Sinnbild der Abgeschiedenheit und Weltfremdheit, ja Weltentrücktheit. In diesem Sinne forderten die Studentenschaften bereits 1960 von ihren Professoren und Universitäten den „Abschied vom Elfenbeinturm“. Wie aber ist dieser Begriff als Anrufung der Gottesmutter in die Lauretanische Litanei gelangt? Wie bei so vielen anderen Ausdrücken und Redewendungen finden wir den Ursprung in der Bibel, im Alten Testament, im Hohenlied der Liebe. Es ist ein poetisches Buch, ein langes Gedicht, das in wunderbarer Sprache im Bild von Braut und Bräutigam das Verhältnis Gottes zu seinem auserwählten Volk beschreibt und prophetisch ein zartes Bild der Beziehung zwischen Christus und seiner Kirche zeichnet. An manchen Stellen wollen uns die heiligen Worte fast nicht über unsere prüden Lippen kommen: „Die Brüste sind wie zwei Kitzlein, Zwillinge einer Gazelle.“ Aber auch das eher martialische Bild des befestigten, waffenstarrenden Turms hat hier seinen Ursprung. Das Bild eines mächtigen Bergfrieds erscheint vor dem inneren Auge, einer Zitadelle, dem letzten Zufluchtsort der Verteidiger, wenn die Burg von Feinden überrannt wird. Und ist die Maria, die Hilfe der Christen, nicht wirklich unser letzter Zufluchtsort in den Stürmen dieser Welt? Ein sicherer Halt, ein fester Hafen, Schutz und Sicherheit vor den Anfechtungen des Bösen? Wer heute die Heilige Stadt besucht, findet in der Jerusalemer Altstadt neben dem Jaffator die sog. „Daviszitadelle“. Dieser Turm hat aber historisch nichts mit der antiken Davidsstadt zu tun, die sich südlich des Tempelbergs befand. Dennoch bleibt der „Berg Zion“ ein Bild für die Wohnung Gottes unter den Menschen und in der „Tochter Zion“, ursprünglich eine Personifikation des Volkes Israel, können wir die Gottesmutter erkennen, die in ihrem FIAT die ganze Menschheit vertritt. Maria, von der die Überlieferung berichtet, dass sie genauso wie ihr Bräutigam Josef aus dem Geschlecht Davids stammt, ist aber auch zugleich der schlanke, elegante elfenbeinerne Turm. Aus der liturgischen Welt des Mittelalters kennen wir den „eucharistischen Turm“, ein oft aus Elfenbein gefertigtes, turmartiges Gefäß (turris, turriculus), eine frühe Form unseres Ziboriums, das über dem Altar aufgehängt die eucharistische Speise enthielt; ein Vorläufer des späteren Sakramentshäuschens und heutigen Tabernakels. So ist Maria nicht nur der wehrhafte Turm, sondern auch das von Gott gebenedeite Gefäß, in dem sich der Herr eine Wohnung bereitet hat, um in diese Welt zu kommen. Und auch heute empfangen wir Christus, den eucharistischen Herrn, aus ihrer milden Hand.

              Ebenbild

                Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.
                Gen 1,26f.

                Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
                Kol 1,12ff.

                Das erste, was die Bibel vom Menschen aussagt, ist seine Gottesebenbildlichkeit: Der Mensch ist als Abbild oder Ebenbild Gottes geschaffen worden. Aus diesem Grund ist er die Krone der Schöpfung, hier wurzelt seine Würde und die Heiligkeit des Lebens. Weil der Mensch das Bild Gottes in dieser Welt repräsentiert, darf er vom Mitmenschen nicht verzweckt und mißbraucht werden, ist er als Person in seiner Würde unantastbar.
                Mit der Gottesebenbildlichkeit ist der Auftrag des Menschen verbunden: Er soll über die ganze Erde herrschen. Heute verbinden wir damit negative Assoziationen: „Herrschaft“ bedeutet Ausbeutung, Unterdrückung, Mißbrauch und Zerstörung. Doch diese Perspektive, die den Mißbrauch der Herrschaft beschreibt, ergibt sich erst aus dem Sündenfall, der die gute Schöpfung korrumpiert. Vom Ursprung her bedeutet Herrschaft die Teilhabe am Tun Gottes. Denn er ist der eigentliche Herr über die Welt, er gestaltet und definiert sie, gibt den geschaffenen Dingen einen Namen und er möchte, daß der Mensch an seinem guten schöpferischen Tun mitwirkt. In der Antike richteten die irdischen Könige als Zeichen ihrer Herrschaft ihre Bildnisse in den von ihnen unterworfenen Ländern auf. So ist es die Aufgabe und Berufung des Menschen, Zeichen und Sinnbild der Gottesherrschaft in der Welt zu sein, einer Herrschaft, die nicht unterdrückt und zerstört, sondern lebensfördernd und segensreich ist.
                In der Weisheitsliteratur erfährt der Begriff der Ebenbildlichkeit eine weitere Entwicklung: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit geschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören.“ (Weish 2,23f.) – Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ist durch die Sünde versehrt, ursprünglich war die Unsterblichkeit eine ihrer Folgen. Dafür aber ist die Weisheit selbst als Personifikation Gottes „der Widerschein des ewigen Lichtes, der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft, das Bild seiner Vollkommenheit.“ (7,26) Der Alte Bund erfüllt und vollendet sich im Neuen Bund. Die im Weisheisbuch angedeutete Entwicklung schreitet voran: Der heilige Paulus nennt Jesus Christus „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ – in ihm, dem menschgewordenen Gott, erkennen wir den liebenden Vater: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen!“ (Joh 14,9) So ist Christus das wahre Ebenbild des himmlischen Vaters – und damit Maßstab auch für uns, die wir nach dem Abbild Gottes geschaffen worden sind. Wir wissen nun, wie wir diese Gottesebenbildlichkeit realisieren sollen: indem wir Christus, dem wahren Ebenbild des unsichtbaren Gottes, ähnlich werden. Diese Christus-Ähnlichkeit können wir aber nicht aus eigener Kraft herstellen, sie ist kein Produkt unserer frommen Leistung, sie ist Geschenk: Beginnend mit unserer Taufe handelt Gott an uns, berührt und verwandelt uns, damit wir „an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilhaben“ (Röm 8,28), damit wir ihm, dem wahren Ebenbild Gottes, ähnlich werden und als seine Brüder und Schwestern, ihm verwandt, gemeinsam den Vater im Himmel preisen dürfen.

                Dreifaltigkeit

                  Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
                  2 Kor 13,13

                  Kaum habe ich begonnen, an die Einheit zu denken, und schon taucht die Dreifaltigkeit mich in ihren Glanz. Kaum habe ich begonnen, an die Dreifaltigkeit zu denken, und schon überwältigt mich wieder die Einheit.
                  Gregor von Nazianz

                  Die Gleichung a n + b n = c n ist für positive ganze Zahlen a , b , c , n unlösbar, wenn n größer als zwei ist.
                  Großer Fermatscher Satz

                  Fermats „letzter Satz“ ist eines der großen Rätsel der Mathematik. Pierre de Fermat schrieb seine Vermutung im 17. Jahrhundert als Randnotiz in ein altes, griechisches Mathematikbuch und ergänzte sie mit der Bemerkung: Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier zu schmal, um ihn zu fassen. Über 350 Jahre hinweg versuchten die großen Geister der Mathematik, diesen wunderbaren Beweis zu finden, doch erst Andrew Wiles konnte 1994 nach zehnjähriger intensiver Forschung Fermats Vermutung bestätigen. Eine der Faszinationen dieses Rätsels besteht darin, dass die Grundannahme recht einfach auch für Laien zu verstehen ist, während die Beweisführung unendlich komplizierte modulare Mathematik und die Berechnung elliptischer Kurven voraussetzt  ein schönes Bild für das große Grundgeheimnis unseres Glaubens, die Göttliche Dreifaltigkeit. Wir glauben an einen Gott in drei Personen: Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist. Jeder kann diese Aussage verstehen, aber wenn man erklären will, was sie bedeutet, wie der scheinbare Widerspruch zu denken und aufzulösen ist, benötigt man höhere Mathematik, will sagen: hohe Theologie und abstrakte philosophische Begriffe und Denkmuster, die nicht eben so zu erklären sind. Da kann man fragen: Warum muss das so kompliziert sein? Die Antwort lautet: Weil es der Wirklichkeit entspricht. Modulare Funktionen bilden eine Wirklichkeit ab, die unser Vorstellungsvermögen sprengt, so wie der Gedanke an ein Universum mit sechs oder elf Dimensionen unvorstellbar ist, wie es in der theoretischen Physik vorgeschlagen wird. Einen Gott, den ich ganz und gar verstehen kann, ist ein plumper, einfacher, grober, fehlerhafter, unvollkommener Götze, der nichts mit der Größe, Schönheit, Perfektion, Vollkommenheit, Makellosigkeit, Komplexität und Wahrheit unseres Gottes zu tun hat. Und zweitens: Es funktioniert. Komplizierteste Berechnungen, die wir Ottonormalmathematiker nicht überschauen, bringen Satelliten ins All und Menschen auf den Mond. Auch der christliche Glaube, der unsere Phantaise, unser Vorstellungsvermögen und unsere Vernunft übersteigt (aber niemals unvernünftig ist), funktioniert. Wir gelangen zwar nicht auf den Mond, aber in den Himmel, die Dimension Gottes, die uns seit der Auferstehung Christi (das zweite komplexe Grundgeheimnis unseres Glaubens) offensteht. Durch Christus gelangen wir in der Kraft des Heiligen Geistes zum himmlischen Vater, um dort in Ewigkeit Erfüllung, Vollendung und reines Glück zu finden. Es gibt die These, dass der Beweis, den Fermat mit den Mitteln der Mathematik seiner Zeit gefunden hat, noch nicht entdeckt wurde. Vielleicht geht es doch einfacher und eleganter. Wir Christen kennen eine elegante Abkürzung ins Herz des Dreifaltigen Gottes. Wenn wir die Liebe leben, die er uns als sein Wesen geoffenbart hat, nimmt das Geheimnis seines göttlichen Lebens in unserem menschlichen Leben immer mehr Gestalt an.

                  Der Balken in deinem Auge

                    Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.
                    Lk 6,41f.

                    Die Vergebung der nach der Taufe begangenen Sünden wird durch ein eigenes Sakrament gewährt; dieses heißt Sakrament der Umkehr, der Beichte, der Buße oder der Versöhnung.
                    KKK 1486

                    Das beginnende 20. Jahrhundert war geprägt von einem ausgesprochen optimistischen Glauben an den Fortschritt, an die immer weitergehende, segensreiche Entwicklung von Wissenschaft und Technik. Das Symbol dieser Einstellung schlechthin war das 1912 in Dienst gestellte, damals größte Schiff der Welt: Die Titanic. Jeder kennt die tragische Geschichte ihres Untergangs während der Jungfernfahrt, der über 1500 Menschen in die eiskalte Tiefe des Nordatlantiks riss. Das als unsinkbar geltende Symbol menschlicher Ingenieurskunst kollidierte mit einem Eisberg. Ein Eisberg ist deshalb so gefährlich, weil ca. 90 Prozent seiner Masse sich unter Wasser befinden und somit nicht sichtbar sind. So wird der Eisberg zu einem treffenden Bild für die Unfähigkeit des Menschen, sich selbst und insbesondere die eigenen Schwächen, Sünden und Fehler realistisch einzuschätzen. Wenn es um unsere Schuld geht, haben wir eine Art blinden Fleck: Wir sehen nur 10 Prozent, die große Masse bleibt uns verborgen. Jesus meint das gleiche, wenn er davon spricht, dass wir den Splitter im Auge des Bruders sehr gut wahrnehmen können und gleichzeitig nicht merken, dass uns selbst ein riesiger Balken im Auge steckt.
                    Wenn ich Menschen auf die Beichte anspreche, ernte ich zwei Reaktionen: Herr Pastor, so viel Zeit haben sie gar nicht! oder: Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich bin doch ein guter Mensch. Hier haben wir diesen blinden Fleck. Das in der Bibel prominenteste Beispiel für diese Unfähigkeit, die eigene Schuld zu erkennen, ist König David. Der von Gott auserwählte, fromme König, der als Urheber der Psalmen gilt, war der schönen Batseba verfallen und begann ein Verhältnis mit ihr. Deren Mann Urija kämpfte währenddessen für seinen König an der Front. Als Batseba schwanger wurde, ließ David den General zurückrufen, versuchte ihn betrunken zu machen, damit er das Lager mit seiner Frau teilte. Als der ehrenhafte Urija jedoch in der Kaserne übernachtete, befahl David, man solle ihn an der Front im Stich lassen. Als sich seine Kameraden während heftiger Kämpfe überraschend zurückzogen, wurde Urija von Feinden überwältigt und fiel. Und bei alledem war bei König David nicht das geringste Schuldbewußtsein festzustellen! Das ist der berühmte blinde Fleck. Erst als der Prophet Natan König David zur Rede stellt, kann dieser seine Schuld erkennen. Erst in der Konfrontation mit dem Gottesmann wird der blinde Fleck überwunden und David kann um Vergebung bitte. Fühlen wir uns nicht manchmal wie die Titanic? Groß, herrlich, strahlend, gut, unsinkbar? Ab und zu haben wir eine Kurskorrektur nötig, damit wir nicht mit den Eisbergen unseres Lebens kollidieren. Ab und zu brauchen auch wir die Begegnung mit einem Gottesmann, mit einem Priester, im Beichtstuhl oder im Beichtgespräch, damit wir auch die 90 Prozent erkennen können, die sonst unter unserem Radar bleiben. Und keine Sorge: In mehr als 20 Jahren habe ich nie erlebt, dass ein auch sehr ausführliches Beichtgespräch länger als eine Stunde dauerte. Soviel Zeit hat jeder. Und wer nicht weiß, was er sagen soll, vertraut sich einfach dem Beichtvater an. Er weiß schon die richtigen Fragen.

                    Bruder

                      Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen.
                      Lev 19,17

                      Denn das ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt: Wir sollen einander lieben und nicht wie Kain handeln, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder erschlug. … Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder und ihr wisst: Kein Menschenmörder hat ewiges Leben, das in ihm bleibt.
                      1 Joh 3,11.12a.15

                      In der Bibel ist der Bruder zunächst nicht nur der männliche Verwandte, sondern auch der Volksgenosse. In der Geschichte des Volkes Israel wird die Zusammengehörigkeit, die Bruderschaft, später von Abraham her begründet: „Unser Vater ist Abraham!“ (Joh 8,39) Der Bruder wird auch zum Glaubensbruder. Und während im Alten Bund die Bruderschaft begrenzt ist auf das eine, auserwählte Volk, findet sich im Neuen Testament der Gedanke an eine universale Bruderschaft, die in der Wiedergeburt in Taufe und Firmung ihren Ursprung hat. Die Blutsbande werden unwichtig, treten in den Hintergrund, die wahren Söhne Abrahams sind die, die an Jesus Christus, den Messias, glauben. „Erkennt also: Die aus dem Glauben leben, sind Söhne Abrahams. Und da die Schrift vorsah, dass Gott die Völker aufgrund des Glaubens gerecht macht, hat sie dem Abraham im Voraus verkündet: In dir sollen alle Völker gesegnet werden.“ (Gal 3,7f.) Auch Christus selbst hat durchaus familienfeindliche Tendenzen. Als seine Familie ihn für verrückt hält und mit Gewalt nach Hause holen will und seine Mutter und seine Cousins und Cousinen vor dem Haus auf ihn warten, sagt er: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mk 3,33ff) Das ist das Kennzeichen, das Kriterium der neuen und wahren Brüder und Schwestern des Herrn, dass sie wie Jesus selbst unbedingt den Willen Gottes tun wollen, ihn als Richtschnur des Lebens anerkennen und täglich darum ringen, ihn zu erfüllen. So ist Christus selbst die Ursache und das Ziel der christlichen Bruderschaft. Man kann sie an einem Merkmal erkennen: der Liebe. „Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht für eine aufrichtige geschwisterliche Liebe; darum hört nicht auf, einander von Herzen zu lieben. Ihr seid neu gezeugt worden, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt.“ (1 Petr 1,22f.) Die Liebe gebietet uns auch: „Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht für uns selbst leben.“ (Röm 15,1) – Doch bei aller Liebe müssen wir uns vor den „falschen Brüdern“ (Gal 2,4) hüten, die nicht aus der Wahrheit des Evangeliums leben. Die universale Bruderschaft ist immer auch konkret und praktisch verwirklicht und bereits in der Urkirche wurde schließlich ausgeschlossen, wer nur dem Namen nach als Bruder lebte (1 Kor 5,11) und der Gemeinschaft schadete. – Ein alter Witz erzählt: Zwei Buben prügeln sich auf offener Straße. Da kommt der Pfarrer vorbei und sagt tadelnd: „Schämt euch! Kennt ihr nicht den Satz: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst?“ – „Das ist ja nicht mein Nächster“, erwidert einer der Buben, „das ist mein Bruder!“ – Diese Anekdote weist auf einen kleinen, aber feinen Unterschied hin. Wer ist mein Nächster? Natürlich meine Brüder und Schwestern im Glauben – aber nicht nur! Wie Jesus in der Geschichte vom barmherzigen Samariter gezeigt hat, ist der Nächste jeder, der da ist, der hilft und beisteht. Die Liebe zu Bruder und Schwester aber, mit denen wir durch Taufe und Firmung verbunden sind, ist eine besondere, privilegierte Form der Liebe: „Deshalb laßt uns, solange wir Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber den Glaubensgenossen!“ (Gal 6,10)

                      Barmherzigkeit

                        Am Morgen stand Mose zeitig auf und ging auf den Sinai hinauf, wie es ihm der Herr aufgetragen hatte. Die beiden steinernen Tafeln nahm er mit. Der Herr aber stieg in der Wolke herab und stellte sich dort neben ihn hin. Er rief den Namen Jahwe aus. Der Herr ging an ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue.
                        Ex 34,46

                        Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!
                        Lk 6,36

                        Verkünde, dass Barmherzigkeit die größte Eigenschaft Gottes ist. Alle Werke Meiner Hände sind durch Barmherzigkeit gekrönt.
                        Tagebuch der Schwester Faustyna, 301.

                        1905 erblickt in dem kleinen polnischen Dorf Glogowoec Helena Kowalska das Licht der Welt. Die Tochter einfacher Eltern wird nur 33 Jahre alt – 13 von ihnen verbrachte sie als „Hilfsschwester“ einer Klostergemeinschaft. Ihre Zeitgenossen und Mitschwestern ahnten nicht, daß Schwester Faustyna, die den ganzen Tag über schwere, körperliche Arbeit verrichtete, wahrscheinlich die größte Mystikerin des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Bereits als kleines Kind sieht sie Jesus und spricht vertraut mit ihm. Und Jesus hat einen besonderen Auftrag für sie. Schwester Faustyna soll die Barmherzigkeit Gottes verkünden. Jesus nennt sie „die Sekretärin meiner Barmherzigkeit“ und versichert ihr: „Ich habe dich für dieses Amt in diesem und im künftigen Leben erwählt. Ich will es so, trotz allen Widerstandes, den man dir entgegenstellen wird.“ (TB 1605) Schwester Faustyna nimmt diese besondere Berufung von ganzem Herzen an. Es ist ja im eigentlichen Sinn keine neue Botschaft – es ist die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft, die immer von der Kirche geglaubt und verkündet wurde: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Mt 9, 12f) Durch die Offenbarungen an Schwester Faustyna wird diese Botschaft noch einmal ausdrücklich betont. Gott setzt alles daran, um den Menschen das Heil zu schenken und ihnen die Angst zu nehmen. Immer wieder versichert er Schwester Faustyna: „Meine Sekretärin, schreibe, daß Ich den Sündern gegenüber freigiebiger bin als Gerechten. Für sie bin Ich auf die Erde herabgekommen… für sie habe Ich Blut vergossen; sie sollen sich nicht fürchten, sich Mir zu nähern; sie brauchen Meine Barmherzigkeit am nötigsten.“ (TB 1275) Bereits das Alte Testament bezeugt von Beginn an Gottes Barmherzigkeit, die sich den Menschen zuwendet, so wie sich das Herz der Eltern den Kindern in Liebe zuneigt. Das berühmte Gleichnis vom barmherzigen Vater krönt die Offenbarung der göttlichen Barmherzigkeit. Thomas von Aquin sagt: Die Gerechtigkeit Gottes wird durch seine Barmherzigkeit nicht aufgehoben, sondern sie überschreitet sie, macht den sündigen Menschen vor Gott gerecht und bewirkt so – als „Fülle der Gerechtigkeit“ – dass Gott dem von ihm gerecht gemachten Menschen gerecht sein kann. Mitten in dem von Papst Franziskus ausgerufenen, außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit sind wir jeden Tag eingeladen, nicht nur das Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit zu empfangen, sondern in den leiblichen und geistigen Werken der Barmherzigkeit täglich neu barmherzig zu handeln und die Barmherzigkeit immer mehr zum Maßstab unseres eigenen Lebens zu machen.

                        Arzt

                          Wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst und tust, was in seinen Augen recht ist, wenn du seinen Geboten gehorchst und auf alle seine Gesetze achtest, werde ich dir keine der Krankheiten schicken, die ich den Ägyptern geschickt habe. Denn ich bin der HERR, dein Arzt.
                          Ex 15,26

                           Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
                          Mt 9,12f.

                          Einen Arzt gibt es, Jesus Christus, unseren Herrn.
                          Ignatius von Antiochien (+ 117)

                          Männer ab 50, so pflegt mein Freund zu sagen, erkennt man daran, dass sie gerne über ihre Krankheiten sprechen. Meiner Erfahrung nach gilt das für alle Geschlechter, und die Sorge um die eigene Gesundheit und das Bemühen, einen guten Arzt zu finden, verbinden uns auch mit den alten Griechen und Römern. Die hatten Äskulap, den Gott der Heilkunst, dessen Attribut, der von einer Schlange umwundene Stab, heute noch Symbol der Ärzte und Apotheker ist. Er galt als „berühmtester Arzt der Welt“ und wer sich in seine Behandlung begeben wollte, schlief in seinem Tempel und erhielt im Traum einen Therapieplan. Äskulap war in allen medizinischen Künsten bewandert, konnte Tote zum Leben erwecken und sogar Glatzköpfen wieder zu einem prächtigen Haarschopf verhelfen.
                          Im Alten Testament offenbart sich Jahwe, der Herr über Leben und Tod, über Gesundheit und Krankheit, als Arzt schlechthin: „Ich bin der Herr, dein Arzt.“ Vom Gott Äskulap erzählt die Legende, er habe sich einst in eine Natter verwandelt, um eine Seuche in Rom zu bekämpfen. Als das störrische Volk Israel während der Wüstenwanderung von „Feuerschlangen“ gebissen und gequält wurde, ließ Gott Mose eine Schlange aus Kupfer anfertigen und an einer Stange anbringen. „Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.“ (Num 21,9) Einst verführte der Teufel die Stammeltern in Gestalt einer Schlange, jetzt wird sie zum Symbol des Lebens und zum Vorzeichen des Kreuzes, an dem unser Arzt Jesus Christus uns durch die Hingabe seines Lebens, durch seinen Tod und seine Auferstehung von der Krankheit der Sünde und des Todes heilt. Seine Barmherzigkeit, Gnade und Liebe ist unsere Medizin, die uns zum täglichen Gebrauch verschrieben wird. Als Kranke bedürfen wir des Arztes, als Sünder bedürfen wir der Erlösung und als gottgeliebte, von seinem Erbarmen Beschenkte dürfen und sollen wir die Barmherzigkeit zum Maßstab unseres eigenen Handelns machen. Die Gabe, Kranke zu heilen, ist heute aus unserem Pfarralltag leider weitestgehend verschwunden. Wie schön wäre es, wenn auch wir wie Petrus sagen könnten: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher!“ (Apg 3, 6) Die Gebrechen des Körpers vertrauen wir unseren Ärzten an, die Gebrechen der Seele oft genug den Psychotherapeuten; ganzheitlich aber dürfen wir Seele, Geist und Körper der Barmherzigkeit unseres großen Arztes Jesus Christus anvertrauen. Die Legende erzählt, dass kurz nach dem Tod der Gottesmutter die Apostel das Grab Mariens öffneten und es leer fanden. Ein Duft von Blumen und frischen Kräutern strömte ihnen entgegen. An der Hand Mariens dürfen wir darauf vertrauen, dass gegen den Tod nun endgültig ein Kraut gewachsen ist: es ist ihr Sohn Jesus Christus, Arzt und Medizin zugleich.

                          Amen

                            Er, der dies bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. – Amen. Komm, Herr Jesus!
                            Offb 22,20

                            Jesus Christus selbst ist das «Amen» (Offb 3,14). Er ist das endgültige Amen der Liebe des Vaters zu uns; er übernimmt und vollendet unser Amen an den Vater: «Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen» (2 Kor 1,20).
                            Katechismus der Katholischen Kirche, 1065.

                            Das hebräische Wort Amen ist vielleicht eines der am meisten unterschätzten heiligen Worte, die wir tagtäglich gebrauchen, ohne groß darüber nachzudenken. Ganz wörtlich übersetzt bedeutet es „fest sein“, es ist ursprünglich die eigene Zustimmung zu dem, was ein anderer sagt. Im Alten Testament wird es an verschiedenen Stellen so verwendet, und zwar nicht nur am Ende eines Gebetes oder eines Segens. Auch bei Flüchen, Schwüren oder Beschwörungen wird es als Wort der Zustimmung benutzt. „Wer Amen sagt, erklärt dadurch, daß das Wort des anderen auch für ihn gilt.“ (J. Baur) Aber natürlich finden wir Amen auch im Alten Testament in den Psalmen und im gottesdienstlichen Gebrauch – die Gemeinde antwortet auf die Verheißung Gottes, auf seine Taten in der Heilsgeschichte, wie sie die Heilige Schrift bezeugt. Amen ruft die Gemeinde im Gottesdienst, das heißt soviel wie: Ja, so ist es! – und in diesem Sinne verwenden wir Amen auch heute noch in der Liturgie.
                            Auch Jesus verwendet den Begriff Amen, allerdings in einer neuen Weise. Im nächtlichen Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus sagt der Herr: „Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. … Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ (Joh 3,3.5) Jesus bezieht das Amen nicht auf die Rede eines anderen, sondern auf seine eigenen Worte. Jesus offenbart sich als einziger Mittler zum Vater: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6) Seine Lehre ist wahr, er verkündet das Wort Gottes, dies wird durch das vorangestellte Amen (im Johannes evangelium immer verdoppelt) deutlich gemacht: „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.“ (Joh 10,7) Jesu Amen ist wie eine Garantie, er spricht die Wahrheit, ja er ist selbst die Wahrheit, weil er Gott ist. Deshalb kann er ganz und gar Gottes Willen tun. Er allein betet Gott so an, wie es ihm gebührt – denn er ist ohne Schuld. Deshalb können wir ihn mit der Offenbarung des Johannes selbst das vollkommene Amen nennen. Wenn wir in der Kirche, in unserem Gebet das Amen sprechen, dann geben wir eine Antwort auf Gottes Ruf: Wir sagen Ja. Aber unser Amen, unser Ja ist oft ein schwaches, kleinlautes, ungläubiges, herzloses Ja. Unser Amen ist manchmal mit Einschränkungen verbunden, es ist zu oft ein „Ja, aber“. Unser Amen ist nicht vollkommen, aber wir dürfen es in das Amen Christi hineinsprechen. Wir dürfen unsere kleine Antwort, mit der wir auf den Ruf Gottes antworten, in die vollkommene Antwort hineinlegen, die Jesus Christus auf den Ruf des Vaters gegeben hat. So verbinden wir unseren schwachen Glauben mit dem Glauben des Herrn, unsere kläglichen Versuche, das Evangelium zu leben mit der vollkommenen Hingabe des Herrn an den Willen des Vaters. Und auf diese Weise wird unser Amen Tag für Tag kraftvoller, Tag für Tag entschiedener, Tag für Tag mit immer mehr Glauben, Hoffnung, Liebe und Hingabe erfüllt.

                            Almosen

                              Wenn Du Almosen gibst, laß es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben, und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
                              Mt 6,24

                              Gut ist nun Almosen als Buße für die Sünde; Fasten ist besser als Gebet, mehr als beides ist das Almosen; denn die Liebe deckt eine Menge Sünden zu, das aus gutem Gewissen kommende Gebet errettet von dem Tode. Glückselig jeder, der in diesen Tugenden vollkommen erfunden wird; das Almosen nämlich macht die Sünde leichter.
                              Zweiter Brief des Clemens an die Korinther 16,4

                              Armen Almosen geben ist ein Zeugnis der brüderlichen Liebe und ein Gott wohlgefälliges Werk der Gerechtigkeit.
                              KKK 2462

                              Das etwas altväterlich klingende Wort „Almosen“ stammt aus dem Griechischen: ἐλεημοσύνη (eleēmosynē) heißt Wohltat, das Wort ἐλεος (eleos) steckt darin, es bedeutet Mitleid, Erbarmen, Barmherzigkeit. Im deutschen Sprachgebrauch wird „Almosen“ heute abwertend verwendet: niemand ist gerne auf Almosen angewiesen, auf eine kleine, kärgliche Gabe. Und wenn jemand für ein Almosen arbeiten muss, dann ist das ziemlich ungerecht, dann hat er eigentlich mehr verdient.
                              Diese abwertende Verwendung wird aber dem Almosen nicht gerecht. Ein Almosen – lehrt der heilige Thomas – ist ein Werk, das die Not des Nächsten aus Mitleid um Gottes Willen lindert. (2,2,q.32,a.1) Die Not des Nächsten lindern – das ist die erste christliche Pflicht, nicht zuletzt deshalb, weil wir in jedem Nächsten Christus dienen: „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35) Doch nicht nur die Offenbarung, auch das Naturrecht fordert uns auf, unser Eigentum so zu gebrauchen, daß aus dem Überfluss unseres Besitzes diejenigen unterstützt werden, die bedürftig sind.
                              In der Antike war das ein ganz neuer Gedanke. Der römische Komödiendichter Plautus gibt die vorherrschende Meinung der Zeit wieder, wenn er in einem seiner Stücke den zynischen Rat gibt: „Schlecht macht sich um den Armen verdient, wer ihm Speise oder Trank reicht; denn er verliert, was er gibt, und verlängert dem Armen doch nur ein elendes Leben.“ – Vor diesem Hintergrund wird die Verpflichtung zum Almosengeben zu einem unerhört neuen Gedanken. Wir finden sie bereits im Alten Bund: „Allen, die gerecht handeln, hilf aus Barmherzigkeit mit dem, was du hast. Sei nicht kleinlich, wenn du Gutes tust. Wende deinen Blick niemals ab, wenn du einen Armen siehst, dann wird auch Gott seinen Blick nicht von dir abwenden. Hast du viel, so gib reichlich von dem was du besitzt; hast du wenig, dann zögere nicht, auch mit dem Wenigen Gutes zu tun. Auf diese Weise wirst du dir einen kostbaren Schatz für die Zeit der Not sammeln. Denn Gutes tun rettet vor dem Tod und bewahrt vor dem Weg in die Finsternis.“ (Tob 4,710) Hier wird auch die Frage nach dem rechten Maß angesprochen: wie groß soll die Gabe sein? In der Moraltheologie hat man den schönen Merksatz geprägt: Justa sit et prudens, veloxque secreta libensque / Ordine procedens, omnibus auxilians. Und das bedeutet: Unser Almosen soll gerecht sein. Ich soll geben, was ich geben kann, aus den Gütern, über die ich auch verfügen kann. Niemand muß sich verschulden, um anderen zu helfen. Dann soll mein Almosen klug eingesetzt werden – ist meine Hilfe sinnvoll und nachhaltig? Wenn ich gebe, so soll ich schnell geben: „Wenn du jetzt etwas hast, sag nicht zu deinem Nächsten: Geh, komm wieder, morgen will ich dir etwas geben.“ (Spr 3,28) Ich mache keine großes Trara und gebe im Verborgenen und mit Freudigkeit und bitteschön nicht mit zusammengebissenen Zähnen. Dann soll ich in der rechten Ordnung geben (Wo ist die Not am größten? Wer leidet Not? Wo wird meine Hilfe dringend gebraucht?) – und schließlich soll ich niemanden ausschließen: auch denen, die meine Hilfe gar nicht verdient haben; denen, die ich nicht besonders mag und sogar meinem Feind soll ich helfen. Auf diese Weise wird mein Almosen eine Gabe, die Ausdruck meiner Gottes und Nächstenliebe ist. Und schließlich: Das letzte Hemd hat keine Taschen! Ich kann nur mitnehmen, was ich jetzt und hier verschenke.

                              Allerheiligen

                                Denn dadurch, dass die, die im Himmel sind, inniger mit Christus vereint werden, festigen sie die ganze Kirche stärker in der Heiligkeit…, hören sie nicht auf, … beim Vater für uns einzutreten, indem sie die Verdienste darbringen, die sie durch den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, auf Erden erworben haben … Daher findet durch ihre brüderliche Sorge unsere Schwachheit reichste Hilfe (LG 49)
                                KKK 956

                                Freut euch alle im Herrn am Fest aller Heiligen; mit uns freuen sich die Engel und loben Gottes Sohn.
                                Messbuch, Eröffnungsvers an Allerheiligen

                                Die römischen Katakomben waren keine Zufluchtsstätten in den Zeiten der Chistenverfolgung, sie waren in den ersten Jahrhunderten der Kirche Begräbnisstätten für die Märtyrer. Nachdem das Christentum sich immer weiter ausbreitete und schließlich Staatsreligion des römischen Reiches wurde, zogen die Katakomben fromme und weniger fromme Gesellen an, die es auf die verehrten und hochgeschätzten Reliquien abgesehen hatten, um die kostbaren Gebeine nicht selten zu verschachern. Diesem Treiben machte Papst Bonifatius IV. im Jahr 609 ein Ende. Er ließ die Reliquien in Sicherheit bringen – und zwar in das Pantheon, ursprünglich ein alter römischer Tempel, der in heidnischen Zeiten der Verehrung aller Götter gewidmet war. Das beeindruckende Bauwerk mit der großen, offenen Kuppel wurde zu einer christlichen Kirche. Und das Fest der Einweihung dieser neuen Kirche wurde im Laufe der Zeit mit den übrigen Gedenktagen, die der großen Gemeinschaft aller Heiligen gewidmet waren, verbunden. Aber nicht nur das Pantheon – jede katholische Kirche ist auch eine Grabeskirche. In jeder Kirche finden wir ein Grab der Märtyrer und anderer Heiliger, deren Reliquien im Altar eingelassen sind. Das Grab eines Heiligen ist nämlich mehr als ein Ort der Trauer und des Abschieds: Es ist ein Zeichen der Hoffnung, ein Zeugnis dafür, daß es eine stärkere Macht gibt als den Tod und daß diese Macht einen Namen hat: Jesus Christus. Ein Heiligengrab ist nicht nur ein Zeichen des Sterbens, es ist ein Zeichen der Auferstehung. Es sagt uns, daß Gott stärker ist als der Tod und daß derjenige, der in Christus hineinstirbt, ins Leben hineinstirbt. Und immer schon haben die Menschen die Nähe der Heiligengräber gesucht und hatten den Wunsch, auch selbst in der Nähe eines Märtyrergrabes beigesetzt zu werden. Was sie gedacht haben, kann man sich leicht vorstellen: Sie wollten im Tod und in der Auferstehung in guter Gesellschaft sein. Sie wollten sich auch im Tod mit den Heiligen und damit auch mit der rettenden Macht Jesu Christi selbst verbinden. Die Gemeinschaft der Heiligen umspannt Leben und Tod. An ihr hält man sich gerade im Sterben fest, um nicht ins Leere zu fallen; um von ihnen hinaufgezogen zu werden ins wahre Leben; um in ihrer Gesellschaft nicht alleine vor dem Richter zu stehen und durch ihr Mitsein in der Stunde des Gerichts bestehen zu können. (Josef Ratzinger) Bis hinein in unsere Tage ist diese alte Überzeugung lebendig geblieben. Wenn unsere Vorfahren den Friedhof direkt neben der Kirche angelegt haben, dann geschah das in dieser alten Tradition. Zugleich aber ist jeder Friedhof, auf dem wir unsere lieben Verstorbenen beisetzen, zu einem Ort der Hoffnung geworden. Im christlichen Begräbnis drückt sich die Überzeugung aus: Ich glaube dir, Christus, dem Auferstandenen. Ich halte mich fest an dir. Und wie ich im Leben nicht alleine, nur auf mich selbst gestellt, existieren konnte, so will ich dir auch im Sterben und im Tod in der großen Gemeinschaft der Heiligen begegnen. Nicht, was wir haben, zählt, sondern was wir vor Gott und für die Menschen sind – das zählt! Wir sind eingeladen, so zu leben, daß wir nicht aus der Gemeinschaft der Heiligen herausfallen. Wir sind eingeladen, jetzt und hier das zu suchen und das zu sein, was im Tod und in der Ewigkeit bestehen kann.