Am Morgen stand Mose zeitig auf und ging auf den Sinai hinauf, wie es ihm der Herr aufgetragen hatte. Die beiden steinernen Tafeln nahm er mit. Der Herr aber stieg in der Wolke herab und stellte sich dort neben ihn hin. Er rief den Namen Jahwe aus. Der Herr ging an ihm vorüber und rief: Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue.
Ex 34,46
Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!
Lk 6,36
Verkünde, dass Barmherzigkeit die größte Eigenschaft Gottes ist. Alle Werke Meiner Hände sind durch Barmherzigkeit gekrönt.
Tagebuch der Schwester Faustyna, 301.
1905 erblickt in dem kleinen polnischen Dorf Glogowoec Helena Kowalska das Licht der Welt. Die Tochter einfacher Eltern wird nur 33 Jahre alt – 13 von ihnen verbrachte sie als „Hilfsschwester“ einer Klostergemeinschaft. Ihre Zeitgenossen und Mitschwestern ahnten nicht, daß Schwester Faustyna, die den ganzen Tag über schwere, körperliche Arbeit verrichtete, wahrscheinlich die größte Mystikerin des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Bereits als kleines Kind sieht sie Jesus und spricht vertraut mit ihm. Und Jesus hat einen besonderen Auftrag für sie. Schwester Faustyna soll die Barmherzigkeit Gottes verkünden. Jesus nennt sie „die Sekretärin meiner Barmherzigkeit“ und versichert ihr: „Ich habe dich für dieses Amt in diesem und im künftigen Leben erwählt. Ich will es so, trotz allen Widerstandes, den man dir entgegenstellen wird.“ (TB 1605) Schwester Faustyna nimmt diese besondere Berufung von ganzem Herzen an. Es ist ja im eigentlichen Sinn keine neue Botschaft – es ist die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft, die immer von der Kirche geglaubt und verkündet wurde: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Mt 9, 12f) Durch die Offenbarungen an Schwester Faustyna wird diese Botschaft noch einmal ausdrücklich betont. Gott setzt alles daran, um den Menschen das Heil zu schenken und ihnen die Angst zu nehmen. Immer wieder versichert er Schwester Faustyna: „Meine Sekretärin, schreibe, daß Ich den Sündern gegenüber freigiebiger bin als Gerechten. Für sie bin Ich auf die Erde herabgekommen… für sie habe Ich Blut vergossen; sie sollen sich nicht fürchten, sich Mir zu nähern; sie brauchen Meine Barmherzigkeit am nötigsten.“ (TB 1275) Bereits das Alte Testament bezeugt von Beginn an Gottes Barmherzigkeit, die sich den Menschen zuwendet, so wie sich das Herz der Eltern den Kindern in Liebe zuneigt. Das berühmte Gleichnis vom barmherzigen Vater krönt die Offenbarung der göttlichen Barmherzigkeit. Thomas von Aquin sagt: Die Gerechtigkeit Gottes wird durch seine Barmherzigkeit nicht aufgehoben, sondern sie überschreitet sie, macht den sündigen Menschen vor Gott gerecht und bewirkt so – als „Fülle der Gerechtigkeit“ – dass Gott dem von ihm gerecht gemachten Menschen gerecht sein kann. Mitten in dem von Papst Franziskus ausgerufenen, außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit sind wir jeden Tag eingeladen, nicht nur das Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit zu empfangen, sondern in den leiblichen und geistigen Werken der Barmherzigkeit täglich neu barmherzig zu handeln und die Barmherzigkeit immer mehr zum Maßstab unseres eigenen Lebens zu machen.