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Heiligkeit

    Das ist es, was Gott will: eure Heiligung.
    1 Thess 4,3.

    Daher ist allen klar, dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und Vollkommenheit der Liebe berufen sind“ (LG 40). Alle sind zur Heiligkeit berufen: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5, 48).
    Katechismus der Katholischen Kirche 2013.

    Fremdwörter können banale und alltägliche Dinge ganz aufregend, exotisch und wichtig wirken lassen. Ein Beispiel gefällig? „Prokrastination“. Man kann es in verschiedenen Zusammenhängen verwenden und zum Beispiel sagen: Ich leide furchtbar unter meiner Prokrastination. Sehr schön ist auch: Keine Sorge, ich habe Ihr Anliegen bereits prokrastiniert. Prokrastination, das heißt auf gut deutsch: auf morgen verschieben. Es ist die gute alte Aufschieberitis, die sich hinter diesem schicken Fremdwort versteckt. Wahrscheinlich kennt das jeder von uns, hat jeder von uns schon einmal prokrastiniert, unangenehme Aufgaben, lästige Pflichten auf morgen verschoben. Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute, sagt das dazu passende Sprichwort, und ich muß frank und frei bekennen: ich leide weder unter Born-out, noch unter anderen Depressionen, ich habe nur manchmal akute Schübe totaler Prokrastination. Ich schiebe Dinge gerne auf morgen.
    Das neue Jahr hat gerade erst begonnen. Manch einer hat sich gute Vorsätze gemacht. Für uns Christen sollte ganz oben auf der Liste der guten Vorsätze (Joggen gehen, zehn Pfund abnehmen, Omi öfter besuchen) eine Aufgabe stehen: Zu Heiligen werden! Aber diese Aufgabe schreit förmlich danach, prokrastiniert zu werden. Das verschieben wir schön auf morgen. Da haben wir die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht, der in diesem Fall unser himmlischer Vater ist. Wir lesen es im ersten Johannesbrief. Unser himmlischer Vater verschiebt unsere Heiligung nicht auf morgen, oder übermorgen oder ans Ende unseres Lebens. Heute steht dieser Punkt auf seiner to-do-Liste. Johannes schreibt, was Gott tut: „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es.“ (1 Joh 3,1) Das ist der Punkt. So einfach geht das. Denn zu Heiligen werden wir nicht, wenn wir uns schön anstrengen. Zu Heiligen werden wir nicht, weil wir so wunderbare Christen sind, so eifrig, so gläubig, so fromm. Aus eigener Kraft ist noch keiner zum Heiligen geworden – die Wahrheit ist: Gott macht uns zu Heiligen. Er schenkt uns so große Liebe, daß wir seine Kinder werden und sind. Wir müssen nichts anderes tun, als unsere Hände und Herzen weit zu öffnen für dieses überreiche, überfließende Geschenk seiner großen Liebe. Wir dürfen unser ganzes Leben von dieser Liebe erfüllen lassen, aus dieser Liebe leben. Dann sind wir Kinder Gottes, Heilige, weil Gott uns heilig macht, uns sein Leben, seine Liebe schenkt. Und das funktioniert, auch wenn wir uns nicht besonders heilig fühlen, wenn wir nicht als große Vorbilder für andere taugen, wenn wir nicht nach unserem Tod zur Ehre der Altäre erhoben werden. Wir sind die ganz normalen Alltags-Heiligen, die Kinder Gottes sind, weil sie als gottgeliebte Sünder aus der Vergebung Gottes heraus leben, weil sie sich immer wieder mit der übergroßen Liebe des Vaters beschenken lassen. In diesem Sinne gilt das Wort von Oscar Wilde: Der einzige Unterschied zwischen einem Sünder und einem Heiligen besteht darin, daß jeder Heilige eine Vergangenheit und jeder Sünder eine Zukunft hat. Und diese Zukunft beginnt für uns hier und heute. Alle anderen Pflichten und Aufgaben, die heute auf unserer to-do-Liste stehen, können wir dann in aller Ruhe abarbeiten – oder prokrastinieren.