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Nächstenliebe

    Ein Schriftgelehrter hatte ihrem Streit zugehört; und da er bemerkt hatte, wie treffend Jesus ihnen antwortete, ging er zu ihm hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
    Mk 12,28-32

    Man kann den Mitmenschen nicht ehren, ohne Gott, seinen Schöpfer, zu preisen. Man kann Gott nicht anbeten, ohne die Menschen, seine Geschöpfe, zu lieben.
    Katechismus der Katholischen Kirche, 2069

    Hundescheiße. Da setzt es bei mir aus. Jeder hat so ein Ding, das er gar nicht ertragen kann, das gar nicht geht. Bei mir ist es Hundescheiße. Bitte nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen Hunde, habe sogar mal kurz überlegt, mir selbst einen anzuschaffen. Aber was mich wirklich aufregt, ist die Hundescheiße vor meiner Haustüre. Kleine Tretminen, die nur darauf warten, dass irgendein unachtsamer Passant hineinläuft und alles schön verteilt, am besten noch einer meiner Besucher. Ist es zuviel verlangt, dass Herrchen oder Frauchen beim Gassigehen diese kleinen Hundekotbeutel mitnehmen und die Hinterlassenschaft ihres Vierbeiners aufsammeln und im nächsten Papierkorb entsorgen? Ich denke nicht! Und ich kann mich maßlos über diese Rücksichtslosigkeit aufregen, die normalerweise völlig harmlose und überaus nette Zeitgenossen wie mich alle vierzehn Tage in Rage bringt. Am Anfang habe ich getobt, geschimpft, sogar mal ein Plakat angebracht, das diesen Mißstand scharf anprangerte. Half alles nichts. Bis meine Haushälterin zu mir sagte: „Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Ist wahrscheinlich eine ältere Dame, die ihren kleinen Hund ausführt. Die sieht das sicher gar nicht mehr.“ Da hat es bei mir Klick gemacht, und jetzt rege ich mich nicht mehr auf. Ich kann die rücksichtslosen oder vergeßlichen oder schlecht sehenden Menschen nicht ändern, aber ich kann ändern, wie ich auf sie reagiere. Jetzt seufze ich nur noch leicht und hole ein Beutelchen, um meinen Bürgersteig wieder zu einem gefahrlos zu betretenden öffentlichen Ort zu machen. Ist das schon Nächstenliebe? Vielleicht nicht die der ganz großen Heiligen. Aber Nächstenliebe fängt doch bei den kleinen Dingen an. Nicht Schimpfen und Fluchen, sondern ohne Trara den Dreck anderer wegmachen. Aufhören, die Türe zu schlagen. Der Nervensäge geduldig und freundlich begegnen. Sich seinen Verwandten nicht zu entziehen (Jes 58,7). Im Auto im Dauerstau für die anderen Verkehrsteilnehmer den Rosenkranz beten, anstatt über die maroden Kölner Autobahnbrücken zu schimpfen. Die österliche Bußzeit neigt sich nun bald ihrem Ende entgegen – eine Chance für uns, noch einmal richtig Gas zu geben. Nächstenliebe fängt bei den Kleinigkeiten an. Und wenn ich in kleinen Dingen meinem Nächsten freundlich, gütig und liebevoll begegne, kostet es micht nicht viel. Aber auf Dauer werde ich selber freundlicher, liebevoller, gütiger, barmherziger und demütiger und auf diese Weise gelingt es mir auch besser, mich selber zu lieben. Das vergessen wir gerne, aber es ist schließlich der Maßstab meiner Nächstenliebe. Und: Alle Gebote hängen zusammen und verweisen aufeinander. Mein Gebet, meine Anbetung setzt sich in meiner Nächstenliebe fort. Und wenn ich dem anderen freundlich begegne, lobe ich zugleich seinen Schöpfer, dessen Ebenbild er ist. Fangen wir einfach mit den kleinen Dingen an. Ich hole schon mal mein Beutelchen.