Gott ist nicht nett.
Pfr. Ulrich Filler, Predigt am 13. Juni 2020
Gott ist nicht nett. Wenn man die Bibel liest, kann man viele Eigenschaften Gottes entdecken. Gott ist allmächtig, Gott ist groß. Sein Zorn kann entbrennen und er straft. Gott ist voller Liebe und Barmherzigkeit, er verzehrt sich nach dem Menschen, eifersüchtig und leidenschaftlich. Gott ist heilig und erhaben, voller Milde und Freundlichkeit und Herrlichkeit und Gerechtigkeit. Er ist alles Mögliche – aber Gott ist nicht nett. Diese Erfahrung macht das Volk Israel ganz am Anfang, als seine Geschichte mit diesem Gott Jahwe beginnt, beim Auszug aus Ägypten. Die berühmten Plagen – nicht nett. Der Tod der Erstgeburt bei Mensch und Vieh – nicht nett. Die ägyptische Streitmacht ertrinkt im Roten Meer – nicht nett. Moses steigt auf den Gottesberg, der für alle anderen strengstes Sperrgebiet ist (wer hinaufsteigt, muss sterben) – nicht nett. 40 Tage und Nächte wartet das Volk in der Wüste, ohne zu wissen, was los ist. Nicht nett. Da ist es sehr verständlich, sehr menschlich, sich ein nettes Bild von Gott zu machen. Ein goldenes Kalb, für das man seinen Schmuck – auf der Flucht zusammengerafft – geopfert, das letzte Hemd hergegeben hatte. Das war ja kein neuer, kein anderer Gott, kein Götze. Nein, alle, von Aaron bis zum letzten Hampel, hatten diese unbändige Sehnsucht nach einem Gott, den man sehen kann, dessen Gegenwart auch spürbar ist, an dem man sich erfreuen kann, bei dem man tanzen kann. Der ein bisschen netter ist. Doch als Mose dann herabkommt, kriegt er einen Tobsuchtsanfall, zerbricht die Tafeln mit den Geboten, vernichtet die Gottesfigur, mischt ihre Überreste mit Wasser, Staub und Asche und lässt das Volk dieses Gebräu trinken. Auch nicht nett. Es wird die ständige Versuchung Israels sein, die Unbegreiflichkeit und Ferne Gottes auszuhalten. Und bis heute besteht darin die Größe Israels. Zu wissen, dass er da ist, aber auch irgendwie doch nicht greifbar. Seine Gegenwart bleibt fremd, man fühlt sich alleingelassen. Als die Römer 70 n. Chr. den Tempel stürmen, um ihn dem Boden gleichzumachen, wollen sie vorher plündern. Die größten Schätze und Kostbarkeiten vermuten sie im Allerheiligsten, dem Raum, den der Hohepriester nur einmal im Jahr betreten darf, um den Namen Gottes laut auszusprechen, ganz alleine, ganz einsam; den Namen, der sonst niemals ausgesprochen wird. Doch als sie die Kammer betreten, ist sie ganz leer: Jahwe ist kein besonders netter Gott. Und auch wenn wir wissen, dass dieser Gott, der die Liebe ist und der in der ganzen Geschichte immer wieder auf den Menschen zugeht, dass dieser Gott Mensch geworden ist in Jesus Christus und dass diese Menschwerdung sich bis heute fortsetzt in der Kirche; auch wenn wir wissen, dass dieser Gott zu uns kommt unter der Gestalt eines Stückchen Brotes in der Kommunion, spüren auch wir immer wieder dieses Grundgefühl Israels: Gott ist nicht nett. Auch wir fühlen uns manchmal alleingelassen. Gott scheint uns nicht zu hören, er erfüllt unsere Bitten nicht. Auch wir sind immer versucht, Gott netter zu machen. Kleiner, handlicher, damit er besser in unser Leben passt. Ein netter Gott erfüllt unsere Wünsche und Bitten. Doch der einzige Weg, der des Glaubens, ist der Weg Jesu, der sagt: Dein Wille geschehe, im Himmel und auf Erden. Und bei dieser Aufgabe sind wir nicht allein. Wir verehren die Heiligen nicht deshalb, weil sie nie gezweifelt hätten. Sie sind heilig, weil sie die Unbegreiflichkeit des fremden, gar nicht netten Gottes ausgehalten haben. Glauben ist oft genug ein „Trotzdem!“ In ihrer Gemeinschaft, vor allem an der Hand Mariens, lernen wir unsere Lektion: Wir brauchen keinen netten Gott. Ein netter Gott ist zu klein. Und unsere Freiheit, unsere Würde, unsere Gottesebenbildlichkeit ist zu groß für einen netten Gott. Echte Liebe, die mich ernst nimmt, ist gewaltig, furchtbar, lebensverändernd. Meine Sehnsucht nach Erfüllung, höchstem Glück, endgültiger Ekstase, Vollendung in Ewigkeit kann keine Nettigkeiten gebrauchen. Gott ist mehr. Wir brauchen mehr. Nett ist für Weicheier, nicht für Heilige.