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Sehnsucht

    Denn die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes … Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.
    Röm 8,19-22

    Ich gehe fort und komme wieder zu euch.
    Joh 14,28

    Der vielleicht bekannteste Dreimaster der Welt ist die englische „Bounty“, die 1789 Schauplatz der berühmten Meuterei wurde. Ein Teil der Mannschaft schüttelte das Joch der strengen Disziplin, der despotischen, ungerechten Willkürherrschaft ab, überließ den Kapitän und seinen Offizieren in der Barkasse des Schiffes ihrem Schicksal (sie erreichten England) und suchte in den Verlockungen der Südsee ein neues, besseres Leben. Alleine fünf Spielfilme (u. a. mit Marlon Brando, Mel Gibson und Anthony Hopkins) faszinieren bis heute: das historische Drama ist eine Ikone der menschlichen Verfasstheit und Sehnsucht geworden. Das Leben ist hart, anstrengend und ungerecht, der zum Dienst gepresste, der allgegenwärtigen Prügelstrafe mit der „Neunschwänzigen Katze“ ausgesetzte Matrose wird zum Prototyp des Menschen, ja der ganzen Schöpfung, die unter der „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ leidet, die vom ungerechten, fremden Willen bestimmt ist, den „Leiden der gegenwärtigen Zeit“. Da stellt sich jedem die Frage: Kann dieses kurze, harte, leidvolle Leben denn alles gewesen sein? Da muss es doch mehr geben: Größeres, Schöneres, Besseres; mehr Glück, mehr Liebe, mehr Gerechtigkeit, mehr Erfüllung! Jeder kann Nietzsches Seufzer nachvollziehen: Denn jede Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! Als Christen kennen wir die Antwort auf diese Seufzen der Schöpfung, auf diese Sehnsucht der Menschheit. Ja, das war nicht alles. Ja, da kommt noch mehr. Besser noch: Da kommt noch jemand! „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Die Wiederkunft Christi, die Parusie, das weltverwandelnde Erscheinen Gottes, der alles gut machen wird und jede Sehnsucht stillt, ist für uns zu einem Ereignis in ferner Zukunft geworden, ähnlich dem Verlöschen der Sonne, die in 10 Milliarden Jahren erst ein Roter Riese, dann ein Weißer Zwerg wird, bevor sie verschwindet. Eine Zukunft, die uns nicht betrifft, uns nichts angeht. Doch haben wir vergessen, dass die Wiederkunft Christi bereits begonnen hat. Im Johannesevangelium beschreibt Jesus dies dem Begriffspaar: Fortgehen – Wiederkommen: Er geht von uns fort: Ans Kreuz, in den Tod hinein. Er kommt wieder zu uns: Im Geheimnis seiner Auferstehung. Wenn die Kirche Liturgie feiert, dann wird diese doppelte Bewegung für uns heilbringende Gegenwart: Mit Christus dürfen wir unser Leiden an diesem Leben, unser Kreuz, unsere Sehnsucht verbinden, wenn wir in sein Opfer eintreten. In der Messfeier begegnet uns der Auferstandene, er breitet seine Hände aus, um uns zu umfangen, uns jetzt bereits Anteil zu geben am neuen Leben der Kinder Gottes, an der Verwandlung des Menschen und der ganzen Schöpfung. Die Meuterei auf der Bounty war teilweise erfolgreich. Ein kleiner Teil der Mannschaft besiedelte eine Pazifikinsel am Ende der Welt, Picairn. Die Nachkommen leben noch dort, doch ein Paradies ist das Eiland bis heute nicht. Wir brauche nicht die Koffer zu packen, eine Sonneninsel zu suchen, um eine Gesellschaft ohne Hass und Egoismus, ohne Ungerechtigkeit und Leid aufzubauen. Noch jeder dieser menschlichen Versuche machte aus dem Paradies eine Hölle auf Erden. Die Antwort auf unsere Sehnsucht, auf unser Seufzen ist Jesus Christus. Er kommt, er ist schon da. Er schenkt uns schon heute das neue Leben, das alles Leid verwandelt und in Ewigkeit währt.